Patricio Fernández Chadwick ist Journalist, Kunsthistoriker und Romanautor. Im Jahr 1998 gründete er mit 28 Jahren die satirische Zeitschrift „The Clinic“, deren Chefredakteur er immer noch ist. Mit ihm sprach Claudius Prößer.
Südwind: Herr Fernández, seit dem 11. März können Sie mit Ihrem Magazin eine rechte Regierung auf den Arm nehmen. Macht das mehr Spaß als mit einer Mitte-Links-Regierung?
Patricio Fernández: Das wird sich zeigen. Erfahrungen mit rechten Regierungen haben wir als Zeitschrift ja nicht. Ich persönlich finde die neuen Rahmenbedingungen bedauerlich, obwohl wir vielleicht unsere Auflage steigern können. Aber auch in Zukunft werden wir genug zu lachen haben.
Wieso?
Sehen Sie sich einmal Piñeras Minister an: Das ist eine gesellschaftlich völlig homogene Gruppe – und sie rekrutiert sich nicht gerade aus dem Proletariat. Da herrscht ein neuer Tonfall, den wir auch aufs Korn nehmen werden. Bezeichnenderweise ist immer von einem „Kabinett der Exzellenz“ die Rede. Was wohl bedeuten soll, dass viele Minister akademische Ehren mitbringen. In meinen Ohren klingt das aber anders: Dass hier „Weiße“ regieren, die immer nur mit anderen „Weißen“ und noch nie mit den „Schwarzen“ da unten zu tun hatten.
Im Wahlkampf hat Piñera eine „neue Form des Regierens“ versprochen. Wie sieht die aus?
Ich denke, in diesen ersten Wochen hat sich gezeigt, dass die Stile höchstens in Nuancen voneinander abweichen. Politik ist eben Politik. Allerdings wollten Piñeras Leute früher nichts mit der klassischen Politik zu tun haben. Deswegen wurden nun viele wichtige Posten mit Unternehmern, mit Managern besetzt. Die verstehen aber nur wenig von der Kunst, mit gesellschaftlichen Akteuren Kompromisse auszuhandeln. Deswegen benötigen sie in vielen Fällen die Erfahrung des Mittelbaus der alten Regierung – und sie haben diese Leute teilweise auf Knien gebeten, weiterzuarbeiten. Dieselben Leute, die sie im Wahlkampf als korrupt und ineffizient bezeichnet hatten.
Wie korrupt war denn die Concertación? Dieser Vorwurf haftete ihr ja auch an.
Die Fälle, um die es ging, waren überschaubar. Den Sumpf aus Korruption, den die Rechte immer beschworen hat, gibt es so nicht. Vieles, was skandalisiert wurde, hat sich am Ende quasi in Luft aufgelöst. Das war meines Erachtens nicht das Problem dieser Koalition. Viel schlimmer war ihr Alterungsprozess, ein innerer Verfall, der von den Medien kaum abgebildet wurde. Das ursprüngliche Projekt der Concertación ist im Laufe der Jahre verloren gegangen oder zumindest verblasst. Sie hat die Gesellschaft verändert, aber eben dieser Gesellschaft konnte sie am Ende kein überzeugendes Angebot mehr machen.
Deswegen ist sie gescheitert?
Genau. Die Concertación ist gescheitert, weil sie kein Projekt, keinen Weg, keine Richtung mehr vorgeben konnte. Getreues Abbild dieser verschlafenen Politikerkaste war ihr Kandidat Eduardo Frei.
Anders herum gefragt: Was sind die größten Errungenschaften nach 20 Jahren Concertación?
Es gibt eine grundlegende Tatsache, die niemand bestreitet, auch nicht die Chefideologen der anderen Seite: Die Armut in Chile ist sehr, sehr stark zurückgegangen. Beim Pro-Kopf-Einkommen, bei den Konsummöglichkeiten, aber auch in Sachen Lebensqualität hat die Concertación den Rechten ein anderes Land übergeben als jenes, das sie 1990 übernommen hat. In Chile hat aber auch ein kultureller Wandel stattgefunden, eine Öffnung zur Welt. Unsere heutige Gesellschaft ist vielfältiger, Menschen können Dinge tun, die vorher undenkbar gewesen wären. Und da, wo unsere bürgerlichen Freiheiten noch nicht ausreichen, geht das aufs Konto der Rechten, die sich dieser Entwicklung entgegengestemmt hat.
Werden diese jetzt diese Entwicklung zurückdrehen?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Jedenfalls nicht in den ersten vier Jahren und schon gar nicht angesichts des Erdbebens, das wir gerade erlebt haben.
Hat das Erdbeben Piñera politisch geschadet oder genutzt?
Kommt drauf an. Sollte er tatsächlich so etwas wie eine „Regierung der nationalen Einheit“ angestrebt haben, wird ihm das jetzt leichter fallen. Der ganz große Konsens lässt sich angesichts einer solchen Tragödie einfacher schmieden. Andererseits: Irgendein politisches Projekt hatte der neue Präsident ja – auch wenn mir nicht ganz klar ist, welches. Das ist jetzt weg. Die Ausnahmesituation wirft seine ganzen schönen Pläne über den Haufen. Das hat ihm geschadet, und dass diese Regierung ihren Amtsantritt verstolpert hat, sagt inzwischen jeder.
Inwiefern?
Es gab unglückliche Ernennungen in den Regionalregierungen. Einem der neuen Intendanten1) gehört eine Baufirma, deren Gebäude im Gegensatz zu vergleichbaren anderen dem Beben nicht standgehalten hatten. Eine andere Ernennung zog die Regierung zurück, als publik wurde, dass gegen den Mann früher wegen Dreiecksgeschäften mit der Colonia Dignidad2) ermittelt worden war.
Aber Sebastián Piñera markiert den starken Mann?
Piñera versucht derzeit, allgegenwärtig zu erscheinen. Ich glaube, viele Chilenen finden das eher peinlich. Der Mann leidet unter Geschwindigkeitssucht. In den ersten Tagen wechselte er mehrmals am Tag das Outfit, wurde vom Hubschrauberpiloten zum Bauingenieur zum Politiker im Anzug. Das ermüdet auf Dauer.
Was glauben Sie: Wird 2014 ein weiterer rechter Kandidat Sebastián Piñera beerben, oder gibt es ein Comeback von Michelle Bachelet?
Naja, es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten. Aber ob die Rechte vier Jahre durchregieren kann, hängt vor allem davon ab, ob sich bis dahin eine ernstzunehmende Opposition formiert. Wenn die fortschrittlichen Kräfte der chilenischen Politik sich auf intelligente Art und Weise neu aufstellen, werden sie wieder gewinnen, davon bin ich überzeugt. In seinem Innersten ist dieses Land nicht vom rechten Virus befallen. Ich glaube grundsätzlich an die Erneuerungskraft der Concertación, auch wenn sie diesen Namen in Zukunft vielleicht nicht mehr trägt. Ich meine damit auch nicht so sehr die Parteien, sondern eine bestimmte politische Kultur. Da gibt es junge, unverbrauchte Leute, die an soziale Gerechtigkeit und Demokratie glauben. Die müssen mit frischen Ideen eine Mehrheit zurückgewinnen. Im Moment ist davon leider noch nicht viel zu erkennen.
Der Titel der Zeitschrift spielt auf die Londoner Privatklinik an, in der Augusto Pinochet wegen eines internationalen Haftbefehls festgehalten wurde. Das satirische Magazin „The Clinic“ hat sich inzwischen auch durch Reportagen und investigativen Journalismus einen Platz als unabhängige Stimme in der chilenischen Presselandschaft gesichert.
1) Entsprechen unseren Landeshauptleuten.
2) Eine von zwei Deutschen 1961 im Süden Chiles gegründete Siedlungskolonie, in der während der Pinochet-Diktatur ein Folterzentrum eingerichtet wurde. Der 2005 festgenommene Sektengründer Paul Schäfer wurde in Chile mehrmals wegen sexuellen Missbrauchs und schwerer Misshandlung von Kindern verurteilt.
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